Täter und Ermittler in einer Person - Kleists "Der zerbrochene Krug" am AvH
Man muss schon sehr abgebrüht sein, um als vorsitzender Richter in einem Verfahren zu fungieren, in dem man selbst alle Beteiligten an der Nase herumführt, um sich jeglicher Verantwortung zu entziehen. So geschieht es in dem Drama „Der zerbrochene Krug“ von Heinrich von Kleist aus dem Jahr 1808. Dorfrichter Adam soll ein Urteil fällen über Ruprecht. Dieser ist der Verlobte Eves, welche wiederum die Tochter von Marthe ist. Angeblich sei bei der nächtlichen Flucht Ruprechts ein wertvoller Krug zu Bruch gegangen. Marthe erwartet Schadenersatz und ein entsprechendes Urteil Adams über Ruprecht. Doch Adam ist der eigentliche Täter und flieht Hals über Kopf aus Eves Zimmer, nachdem er sie missbraucht hat. Dabei zerbricht der Krug. Im Rahmen einer turbulenten Verhandlung wird Adam entlarvt. Statt sich seiner Verantwortung zu stellen, ergreift er dreist die Flucht und kann sich einer Strafe entziehen.
Der Klassiker der deutschen Literatur zählt ab dem Jahr 2026 bis 2028 zum verpflichtenden Abiturkanon für die neue gymnasiale Oberstufe. Wie so oft orientiert sich die Neue Werkbühne München an unterrichtsrelevanter Literatur und hat so auch den „Zerbrochenen Krug“ in ihren Spielplan aufgenommen. Damit tourt das Ensemble bestehend aus sechs Schauspielerinnen und Schauspielern durch Deutschland und bringt Theater in die Schulen. Am AvH saßen nicht nur die hausinternen Zwölftklässlerinnen und Zwölftklässler im Publikum der großen Aula, sondern auch diejenigen des Bayernkollegs, des Olympia-Morata- sowie des Walther-Rathenau-Gymnasiums. Gekürzt und kurzweilig dargeboten wurde ihnen Kleists Klassiker, der Themen wie Gerechtigkeit, Patriarchismus und Schuld behandelt, nähergebracht. Im Anschluss stellte sich Ansgar Wilk, der den Dorfrichter Adam verkörpert, den Fragen des Publikums. Diese drehten sich vor allem um die schauspielerische Arbeit, von der Auswahl der Stücke bis hin zur dramaturgischen Gestaltung.
Die Neue Werkbühne war nicht zum ersten Mal am AvH zu Gast. Es wurden bereits Schillers „Maria Stuart“ und „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing am Humboldt-Gymnasium aufgeführt.
Von Andrea Eyrich